Spirit Island ist mit ziemlicher Sicherheit das komplexeste Spiel, das ich wirklich gerne mag und fast jederzeit spielen würde.
Worum geht es?
Man spielt (kooperativ) als einer der Naturgeister einer abgelegenen Insel, die man - gemeinsam mit dem einheimischen Stamm - gegen Eindringlinge verteidigt, die die Insel erkundigen und besiedeln wollen. Das Thema ist ansprechend und im Spielmaterial schlicht, aber passend und vom Material her hochwertig umgesetzt.
Alle acht Naturgeister (in Mini-Erweiterungen und Erweiterungen noch weitere) haben sehr unterschiedliche Fähigkeiten und spielen sich - bis auf ein paar Grundmechanismen - extrem unterschiedlich. Sie sind dabei unterteilt in weniger komplexe und komplexere Naturgeister, so dass der Einstieg mit einfacher zu spielenden Geistern möglich ist. Da diese durchaus nicht schlecht sind, sondern teilweise auch komplexere Geister sehr gut ergänzen, ist es auch leicht, neue Spieler mit in eine Runde aufzunehmen. Daneben gibt es weitere kleine Regelanpassungen, die für Neulinge empfohlen werden, mit denen man aber später ganz individuell den Schwierigkeitsgrad steuern kann (wobei Spirit Island meines Erachtens immer ein schwieriges Spiel ist, das man nicht selbstverständlich gewinnt).
Letztlich könnte man das Spiel als hochkomplexen Puzzler bezeichnen: Jede Runde gilt es, Probleme zu lösen, aber auch gut abzuwägen, welche negativen Resultat man ggf. in Kauf nehmen muss, um das Ziel, die Eindringlinge von der Insel zu vertreiben, in späteren Runden noch erreichen zu können. Dabei gibt es durchaus eine recht steile Lernkurve, die allerdings für ambitionierte Spieler mit Spaß am Austüfteln guter Lösungen ganz gut zu meistern ist, wenn man sich - zumindest als nicht ganz Vollprofi in Expertenspielen - an die Vereinfachungen für neue Spieler hält und sich langsam an die volle mögliche Komplexität heranwagt.
In meinen Augen ist das Ausbalancieren von Zufallseffekten (über verschiedene Kartendecks der Geister, der Invasoren und der Furcht der Invasoren) und Taktik insgesamt gut gelungen. Es gibt definitiv Zufallseffekte, so etwa das Ziel der jeweiligen Erkundungen der Invasoren, aber wer das Spiel gut kennt, kann einkalkulieren, was in der nächsten Runde passieren könnte und entsprechend die geeigneten Vorbereitungen treffen, um von keinem möglichen Ereignis völlig überrumpelt zu werden. Ein wenig unzufrieden bin ich lediglich mit dem Zufall des Furchtdecks, dazu werde ich euch eine Variante aufschreiben. Schön ist auch, dass es für die weniger komplexen Geister vorgeschlagene Deckreihenfolgen gibt, mit denen man für Anfänger einen Teil der Zufallseffekte herausnehmen und vorhersehbar machen kann.
Bei aller Komplexität empfinde ich das Spiel übrigens nach zwei, drei Einspielrunden überschaubar - man muss nicht immer wieder nachschlagen, wie was geht, sondern es erscheint bei den ersten paar Runden unübersichtlich, aber fast alles folgt einer einleuchtenden Struktur, die man schnell erlernt, bzw. ist auf den Geistertableaus und den Karten übersichtlich dargestellt. Die Anleitung braucht man nach den ersten paar Runden nur noch in seltenen Ausnahmefällen.
Spiele mit mehreren Spielern:
In einer Runde mit mehreren Spielern (bis zu vier im Grundspiel) liegt die Herausforderung darin, die Fähigkeiten der gespielten Naturgeister gut miteinander in Einklang zu bringen und sich nicht gegenseitig zu behindern, sondern vielmehr die Schwächen der anderen auszugleichen oder ihnen die Grundlage für das Ausspielen ihrer Stärken zu bieten. Dafür sind natürlich gute Absprachen nötig. Wie eigentlich immer bei kooperativen Spielen klappt das dann nicht gut, wenn ein Spieler allein das Kommando übernimmt und die anderen nur zu seinen Ausführungsgehilfen degradiert werden. Wenn man aber kooperativ und gleichberechtigt - oder bei unterschiedlicher Erfahrung mit dem Spiel wenigstens auf Augenhöhe -, dann macht das riesig Spaß.
Solo-Spiel:
Wegen der hohen Komplexität und der steilen Lernkurve geht es mir leider so, dass ich dieses Spiel häufiger alleine als in einer Spielrunde spiele. Das finde ich schade - ich würde dieses Spiel gerne auch häufiger mit anderen spielen. Andererseits ist es aber alleine in meinen Augen ein gleichwertiges Spielerlebnis. Das Solo-Spiel ist in keinster Weise eine abgespeckte oder notdürftig angepasste Version des Mehrspieler-Originals, wie man das ja leider häufiger mal hat, sondern wirklich das vollwertige Spiel. Ähnlich wie in manchen anderen Spielen ist zwar für das Solo-Spiel vorgesehen, dass man mit nur einem Geist spielt, aber es ist problemlos möglich, auch mit mehreren zu spielen - ob 2, 3 oder 4 bleibt völlig dem Spieler überlassen. Da keine strikten Reihenfolgen o.ä. zu beachten sind und man relativ leicht tracken kann, welche Aktionen man für welchen Geist in einer Runde schon verbraucht hat und welche nicht, finde ich es auch nicht allzu schwierig, dabei den Überblick zu behalten.
Ich habe das Spiel noch nicht allzu lange, und bisher habe ich vor allem die weniger komplexen Geister gemeistert - und es macht trotzdem weiterhin Spaß, mit ihnen zu spielen, weil ein Sieg mit ihnen trotzdem kein Selbstläufer ist. Die komplexeren Geister bieten mehr Herausforderung und werden mich mit Sicherheit noch lange beschäftigen, einfach weil man mehr unterschiedliche Aspekte gekonnt unter einen Hut bringen muss, um mit ihnen zu gewinnen. Und dann kommt die neue Herausforderung hinzu, mehrere Geister zu finden, die gut miteinander zusammenarbeiten - oder mit Geistern, die schlecht harmonieren (und sich unter Umständen in ihren Effekten sogar behindern) trotzdem zu gewinnen.
Nationen und Szenarien, die schon im Grundspiel vorhanden sind und weitere Komplexität und Variation hinzufügen, habe ich bisher noch gar nicht ausprobiert. Und sollte ich irgendwann der Meinung sein, dass ich all das ausgereizt habe und neue Herausforderungen brauche, gibt es schon mehrere Mini-Erweiterungen und Erweiterungen, die auch noch ausgereizt sein wollen ...
Insgesamt denke ich, dass ich mit dem Spiel noch viel Zeit verbringen werde, was letztlich bedeutet, dass der nicht gerade geringe Preis gut angelegt ist.
Voraussetzung dafür, dass man Freunde an dem Spiel hat, ist, dass man schwierige Herausforderungen mag, sich nicht zu leicht frustrieren lässt und entweder auch mal gerne alleine spielt oder aber Mitspieler hat, für die ebenfalls gilt, dass sie Herausforderungen lieben und sich nicht so schnell frustrieren lassen. Dann ist Spirit Island eins der schönsten komplexen Spiele, die es in den letzten Jahren gegeben hat.
Irene hat Spirit Island klassifiziert.
(ansehen)