Pandemie ist für mich ein wahres Meisterwerk von Spiel. Die Regeln sind echt nicht sehr komplex, von dieser Warte aus ist es höchsten im unteren Kennerspiel-Niveau einzuordnen. Die Spieltiefe, die Lernkurve und die taktischen Möglichkeiten sind aber extrem.
Die Geschichte ist einfach: Es sind vier verschiedene Seuchen in verschiedenen Städten ausgebrochen, und für diese muss ein Heilmittel gefunden werden. Dabei können Teams aus verschiedenen Fachleuten zusammenarbeiten, die jeweils ihre eigenen Spezialfähigkeiten haben. Jede Figur hat pro Zug vier Aktionen zur Verfügung, die aus Bewegung, Behandlung von Erkrankten, Bau von Forschungszentren und dem Finden eines Heilmittels bestehen. Für viele dieser Aktionen benötigt man zusätzlich Karten, von denen man aber zu keinem Zeitpunkt zu viele auf der Hand haben darf. Die wichtigste Kartenaktion ist das Finden eines Heilmittels, wofür man in einem Forschungszentrum stehen muss und fünf (bzw. mit der Spezialfähigkeit einer der Figuren vier) Karten der entsprechenden Farbe braucht. Befinden sich zwei Figuren in derselben Stadt, können sie sogar Karten tauschen. Hört sich also gar nicht so schwer an, oder? Aber da man passende Karten braucht, um sich schnell/weit bewegen zu können (langsam geht mit Aktionen) oder Forschungszentren zu bauen, muss man sehr viel abwägen. Und das Handkartenlimit, das das Abwerfen von Karten erzwingt, macht die Sache nur noch schwerer.
Dazu kommt noch ein steigender Zeitdruck: Nach jedem Zug breiten sich die Seuchen weiter aus - in wie vielen Städten, hängt vom Schwierigkeitsgrad ab. Sind in einer Stadt aber schon zu viele Personen infiziert (drei Seuchenwürfel von einer Farbe), wird die jeweilige Seuche auch in die Nachbarstädte getragen - und von dort weiter, sollten dort auch schon zu viele Infizierte sein. Noch dazu ist das Spiel zu Ende, wenn es von einer Seuche keine Würfel mehr gibt - dann hat die Seuche die Oberhand gewonnen. Aus dem Kartendeck können auch noch Events dazu kommen, die die Sache zusätzlich chaotisch machen.
Das Material ist hochwertig, aber im Vergleich zu vielen anderen Spielen relativ karg: Eine Weltkarte mit den Städten, Klötzchen und Karten, dazu noch die Spielerfiguren. Kurz gesagt, gibt es viele Spiele, die optisch wesentlich mehr hermachen. Die Altersangabe ab 12 Jahren finde ich schon aus dem Grund richtig, wobei vermutlich nur Jugendliche mit viel Spielerfahrung schon in dem Alter begeisterte Pandemie-Spieler werden. Und auch Erwachsene, die optisch von einem Spiel mehr erwarten, werden vermutlich nicht so begeistert von Pandemie sein.
Immer wieder erstaunt bin ich über die Angabe der Spieleranzahl: 2 bis 4. Für mich ist dieses Spiel das Extrembeispiel eines kooperativen Spiels, nämlich eigentlich ein 1-Spieler-Spiel, bei dem man, wenn man möchte, die Rollen auch auf mehrere Spieler aufteilen kann. Warum? Ganz einfach: Es wird komplett offen gespielt (und es macht auch keinen Sinn, davon abzurücken). Das bedeutet, dass jeder zu jedem Zeitpunkt alle Karten jedes Mitspielers und damit insgesamt den kompletten Status kennt. Es gibt also absolut keinen zwingenden Grund, warum man mit mehreren Personen spielen müsste.
Wie bei vielen kooperativen Spielen funktioniert es für mich entweder allein oder eben mit der richtigen Gruppe. Leute, die allein den Ton angeben wollen, sollten dann lieber auch alleine spielen, denn wenn jemand (und sei er Anfänger) nur zum Befehlsempfänger wird, macht es natürlich wenig Spaß. Man braucht schon eine Runde, in der jeder den anderen für voll nimmt und auch ohne Frust bereit ist, sich auf dessen Sicht einzulassen, selbst wenn man glaubt, einen besseren Spielzug zu wissen.
Was mir noch sehr gut gefällt, ist, dass Pandemie für ein relativ komplexes Spiel eine kurze Spieldauer von normalerweise unter einer Stunde hat. Extremgrübler können diese Zeitangabe zwar sprengen, aber ansonsten ist es in dieser Zeit wirklich zu schaffen. Und das bedeutet, dass man es wesentlich häufiger spielen kann, als das bei den meisten Spielen dieser Komplexität möglich ist.
Neben der Tatsache, dass Koop nicht für jeden Spieler das richtige ist, gibt es noch einen Punkt, der manchen Spielern vielleicht nicht gefällt: Das Spiel ist für ein eher komplexes Spiel doch sehr glückslastig - oder wird jedenfalls von manchen so wahrgenommen. Ein Ausbruch zur falschen Zeit kann ein Spiel, das bis dahin gut gelaufen ist, ganz schnell kippen lassen. Und ich kenne viele Spieler, die das halt nicht mögen und dann auf den zu hohen Zufallsfaktor schimpfen.
Ich persönlich empfinde das immer gar nicht so als Glücksfaktor. Der Kontext dieses Spiels ist halt: Es wird fast immer was Schlimmes passieren, das uns Kopf und Kragen kosten kann, und wir müssen so spielen, dass wir auch den Worst Case noch besiegen können. Das heißt für mich dann: So schnell wie möglich die Städte in den Griff bekommen, wo eine Weiterverbreitung kritisch bis tödlich wäre. Dann ist es eigentlich nicht mehr Glück, sondern vorausschauende Taktik. Wer dagegen Kamikaze spielen will - ja, der wird halt immer wieder den Fall haben, dass die Seuche sich genau da verbreitet, wo man die Gefahr gerade ignoriert hat.
Für alle, die mit hohem Schwierigkeitsgrad leben können (wobei der anpassbar ist), alleine spielen möchten oder ein passendes Team haben, und die Karten nicht als zu hohen Glücksfaktor, sondern als unsichere Rahmenbedingungen, mit denen man umgehen muss, ansehen kann, für den ist es ein super Spiel, das sein Geld definitiv wert ist und auch in den Jahren seit Erscheinen nichts an Aktualität verloren hat. Im Moment muss man vielleicht noch hinzufügen: Man darf sich natürlich auch nicht an der ´zu hohen Aktualität´ stoßen ...
Dicke Empfehlung für anspruchsvolle Spieler!
Irene hat Pandemie (Pandemic) klassifiziert.
(ansehen)