WENDAKE - Es hat doch ein wenig gedauert, bis ich mir das richtig merken konnte (von Wanduko über Winduka oder wie auch immer war alles drin, aber nicht Wendake; da hab ich lange für gebraucht). Also ein, wie ich finde, unglücklich gewählter Spieletitel. Wendake, so nannten die Huronen die Gegend um die großen Seen in Kanada. Und genau dort spielen wir thematisch im 18.Jahrhundert den Alltag der dort ansässigen Indianerstämme nach.
Um es gleich vorweg zu sagen: Wendake ist eines der besten Spiele, die mir in letzter Zeit begegnet sind. Viele Spiele auf dem Markt haben ja teilweise aufgesetzte Themen, oder die Thematik ist willkürlich und austauschbar. Nicht so Wendake: Das Spiel ist inhaltlich unglaublich dicht und authentisch. Das Thema passt und wirkt keinesfalls aufgesetzt.
Wir sind Häuptlinge eines an den großen Seen Nordamerikas angesiedelten Indianerstammes (Huronen, Irokesen uva.). In 7 Jahren (Spielrunden) versuchen wir, unseren Stamm auf den Gebieten "Kämpfen", "Handel", "Rituale" und "Maskenzeremonie" voranzubringen. Dazu stehen uns acht verschiedene Aktionen zur Verfügung, von denen wir uns drei pro Jahr (Spielrunde) nach einem genialen Mechanismus auswählen können. So können wir Kanus auf die Seen setzen, was uns in späteren Spielzügen sowohl Handel als auch das Fischen ermöglicht. Wir können unsere Frauen auf die Felder versetzen, wo sie Mais, Bohnen oder Kürbisse anbauen und ernten. Unsere Jäger können wir in (freie) Wälder setzen, wo sie Bieber jagen können. In weiteren Aktionen ernten wir das von den Frauen angebaute Gemüse, fischen mit unseren Kanus und jagen Bieber. Die Bieber verarbeiten wir in einer weiteren Aktion zu Fellen. Wir können Handel treiben mit den weißen Männern. Dabei können wir so viele Ressourcen umtauschen, wie wir Kanus auf den Seen stehen haben. Außerdem können wir mit diesen Ressourcen sogenannte "Fortschrittplättchen" kaufen, mit denen wir zum einen Punkte erwerben und zum anderen Sonderfähigkeiten bekommen, die wir zusätzlich zu unseren Aktionen einsetzen können. Aber Vorsicht: Wie damals wirklich geschehen, kann der Kontakt mit den Weißen zu Krankheiten (Pocken) führen und wir müssen bei dieser Handelsaktion, wenn wir Pech haben, einen unserer eingesetzten Figuren zurück auf unser Spielertableau setzen. Er steht uns damit erst einmal vorerst nicht mehr zur Verfügung, bis ich ihn wieder durch eine Aktion reaktiviere. Die Frau, der Krieger oder der Jäger haben sich dann wieder von der Krankheit erholt. Andere Aktionen erlauben uns, Krieger auf den Spielplan zu setzen und zu kämpfen. Wir können zum einen Krieger anderer Stämme (also unserer Mitspieler) verdrängen, oder aber wir bewachen unsere Frauen auf den Feldern und unsere Jäger in den Wäldern. Andererseits können wir aber auch unbewachte Frauen und Jäger aus den Ertragsfeldern vertreiben und diese dann mit unseren Frauen und Jägern besetzen. Und da es auf dem Spielfeld recht schnell sehr eng wird, ist durch dieses Element jede Menge Interaktion garantiert, denn man kommt früher oder später nicht umhin, mit seinen Mitspielern um die begehrten Ertragsfelder zu kämpfen. Aber keine Angst: In diesem Spiel stirbt niemand. Die vertriebenen Jäger, Krieger und Frauen kommen auf unser Spielertableau in das Hospital und können mit einer weiteren Aktion ("Ritual") wieder ins Spiel gebracht werden. Und dann gibt es noch die "Maskenzeremonie". Hier gilt es auch Punkte zu sammeln (die genaue Beschreibung dieser Aktion erspare ich mir hier aber).
Was ich besonders geschickt finde, ist die Punkteverteilung und Wertung am Ende des Spiels. Wir haben vier Punkteleisten (zwei oberhalb und zwei unterhalb des Spielfeldes). Hier kommt jeweils nur eine Punkteleiste in die Endabrechnung, und zwar jeweils die schwächste. Es nützt also nichts, sich zu spezialisieren und eine Wertung völlig aus dem Auge zu verlieren. Habe ich fleißig gekämpft und mir hier richtig heftig Punkte ergattert (sagen wir mal, 15 Punkte), aber das Handeln vernachlässigt und hier z.B. nur 7 Punkte geholt, dann nützen mir die 15 Punkte beim Kämpfen nix, denn nur die 7 Punkte beim "Handeln" gehen in die Wertung. Dadurch ist gewährleistet, dass ich in ALLEN Bereichen möglichst gleich viele Punkte holen sollte. Es ist gar nicht so leicht, das richtig zu händeln.
Es gibt noch viele kleine Spezialregeln, die ich hier nicht alle aufführen möchte; das würde den Rahmen dieser Rezension gnadenlos sprengen. Nur soviel: Ich kann verschiedene Indianerstämme spielen und habe dadurch auch verschiedene Ausgangspositionen. Das Auswählen der drei Aktionen pro Jahr ist genial durch ein "Tic-Tac-Toe"-Mechanismus geregelt. Und jedes Jahr (jede Spielrunde) kommen immer bessere Aktionsmöglichkeiten ins Spiel.
Auch die Solo-Variante gefällt: Hier spielt man gegen die "Geisterkarten", die einen Gegenspieler simulieren. Dieser "Gegenspieler" besetzt Gebiete, vertreibt die Frauen, Jäger und Krieger des Solospielers und beginnt mit sehr hohen Punktzahlen, die es zu schlagen gilt. Dabei muss der Solospieler auch noch drei Sonderaufgaben erfüllen (z.B. dafür Sorge tragen, dass der Gegenspieler weniger als fünf Ertragsfelder besetzt, oder der Solospieler selber muss 8 Ertragsfelder besetzen oder aber alle neun Schildkrötenplättchen erspielen (also Maskenrituale erfolgreich spielen) usw. Alles sehr gut durchdacht und wirklich schwer zu gewinnen.
Wie schon erwähnt ist das Spiel sehr thematisch. Man fühlt sich tatsächlich in die Mitte des 18. Jahrhundert versetzt und hat zu keinem Zeitpunkt das Gefühl, hier einem willkürlich aufgesetztem Thema ausgesetzt zu sein. Klasse gemacht!
Und das Spielmaterial: Hier komme ich wirklich ins Schwärmen. Holzkanus und Holzkrieger, sehr detailgetreu gestaltet, dazu auch die Gemüseerträge (Kürbis, Mais, Bohnen) aus Holz, sehr stabile Pappspielpläne, Pappteilchen, Punkteleisten. Die Punkteanzeiger und Aktionssteine ebenfalls aus Holz, stabile und schön gestaltete Spielkarten...also das Auge spielt hier sehr gerne mit! Und es ist wirklich eine Menge Spielmaterial, der Karton ist rappelvoll!
Die Spielanleitung (in mehreren Sprachen) ist auch beispielhaft. Alles wird sehr gut erklärt, auch das Spielmaterial wird ausführlich beschrieben. Fast alle Aktionen werden mit Beispielen unterlegt, die Symbole werden aufgelistet und beschrieben. Außerdem liegt noch eine historische Beschreibung des Spielthemas bei, in der auch die Solovariante beschrieben wird (das fand ich jetzt persönlich etwas unglücklich; ich hab nämlich lange verzweifelt die Solovariante im großen Regelheft gesucht und dann per Zufall, nachdem ich mir mal das Historienheft angesehen habe, dort dann die Solovariante gefunden).
Ein tolles Spiel, ein Klasse-Spielmechanismus, eingebettet in eine stimmige Thematik, richtig gutes Spielmaterial, super Spielanleitung und toller Spielspaß mit hohem Wiederspielreiz. Es ist aber ein Expertenspiel und KEIN Familienspiel, dafür ist es zu komplex. Und ja: Diesmal dürften auch die Interaktionsfans mal nichts zu meckern haben, denn Interaktion ist wirklich ausreichend gegeben. Wenn da bloß nicht dieser unglücklich gewählte Spieltitel wäre...aber das ist nur das berühmte Haar in der Suppe, dass man bei ausreichend langer Suche irgendwie immer findet.
Ein Juwel und mehr als nur ein Geheimtipp! Ich gebe sieben Punkte (ach nein, es gehen ja nur sechs. Leider...)!
Matthias hat Wendake klassifiziert.
(ansehen)