Auf die Paladine des Westfrankenreichs war ich besonders gespannt; haben mich doch die Architekten des Westfrankenreiches (das Vorgängerspiel) voll und ganz abgeholt. Vielleicht hab ich mich einen Tick zu viel gefreut, denn ein wenig ernüchtert bin ich schon. Trotzdem ist das Spiel ein gutes und kann auch von mir durchaus weiterempfohlen werden. Aber eines sollte man wissen: Es ist ein knallhartes Kennerspiel, wenn nicht sogar ein Spiel für Experten.
Worum geht es?
Wir sind Vasallen des Königs im späten 9. Jahrhundert im Westfrankenreich und verteidigen eine Stadt oder ein Gebiet gegen Eindringlinge und Fremde (Sarazenen, Wikinger etc.). Dafür brauchen wir ausreichend Gefolgsleute (Tagelöhner, Jäger und Kundschafter, Händler, Krieger, Mönche und - wir sind ja nicht wählerisch - durchaus auch mal einen Verbrecher). Außerdem benötigen wir Silber und Nahrung, um unsere Gefolgsleute zu bezahlen und zu ernähren. Zu Beginn einer jeden Runde rekrutieren wir 4 Gefolgsleute aus den Tavernen unserer Stadt. Aus mehreren ausliegenden Tavernenkarten (abhängig von der Spielerzahl) suchen wir uns die Gefolgsleute aus, die unserem Plan für diese Runde am nächsten kommen. Außerdem schickt uns der König jede Runde aufs Neue seine Paladine (Ritter). Hier können wir aus drei Karten den Paladin auswählen, der uns in dieser Runde am besten helfen kann. Jeder Paladin bringt noch 2 Gefolgsleute mit, so dass ich in jeder Runde mit 6 Gefolgsleuten beginne. Außerdem hat der Paladin in dieser Runde (und nur in der!) Auswirkungen auf meine militärische Stärke, meinem Ansehen bzw. meiner Frömmigkeit (Glauben).
Nun kann ich in dieser Runde munter meine Gefolgsleute einsetzen. Ich kann mit meinen Jägern Nahrung beschaffen und mit meinen Händlern Silber generieren. Ich kann meine wirtschaftliche Entwicklung voranbringen und Werkstätten erbauen, die mir dauerhafte Vorteile bei größeren Unternehmen, wie dem Befestigen der Stadt, Angreifen oder Missionieren der Fremden, Entsenden meiner Mönche zwecks Missionierungen etc., garantieren.
Ich kann die Stadt mit einer Burgmauer befestigen (wozu ich Einfluss und Nahrung für meine Bauleute brauche), ich kann Stadtbewohner rekrutieren, was mir entweder sofort oder dauerhafte Vorteile bringt, ich kann die Fremden angreifen (wozu ich militärische Stärke und Krieger brauche) oder ich ziehe die Fremden auf meine Seite und missioniere diese erfolgreich (wozu ich Frömmigkeit, Glauben und natürlich Mönche brauche). Oder ich baue Außenposten im Umland der Stadt (der gemeinsame Spielplan) oder aber ich entsende meine Mönche ins Umland. Für all diese Aktionen benötige ich entsprechende Einflusspunkte wie Ansehen, militärische Stärke, Glauben. Bei Erfolg verschaffen mir diese Aktionen aber auch wiederum entsprechende Einflusspunkte.
Fehlt mir ein entsprechender Arbeiter, wenn ich z.B. angreifen will und ich keinen Krieger habe, dann kann ich mit der Aktion "Verschwören" einen Verbrecher engagieren, den ich wie einen Jocker für praktisch jeden anderen Gefolgsmann einsetzen kann. Allerdings muss ich dafür auch eine sogenannte "Verdachtskarte" ziehen. Je nach Karte bekomme ich nun 0 - 2 Silber aus der Staatskasse. Diese ist je nach Spieleranzahl limitiert. Ist die Kasse leer, erfolgt eine Inquisition. Habe ich von allen die meisten Verdachtskarten, muss ich nun einen Schuldschein nehmen, der mir am Spielende drei Minuspunkte einbringt. Durch andere Aktionen kann ich diese Schuldscheine aber auch wieder loswerden. Wenn es ganz gut läuft, kann ich diese sogar umdrehen und bekomme am Spielende sogar noch einen Siegpunkt.
Pro Runde wird, zumindest zu Beginn, jeweils ein "Auftrag des Königs" aufgedeckt. Entweder muss ich im Laufe des Spiels 5 Fremde angegriffen haben, oder 5 Fremde konvertiert, oder 5 Mauerzinnen gebaut haben, oder 5 Mönche ins Umland entsendet oder 5 Außenposten gebaut haben. Dann erhalte ich am Spielende noch einmal Zusatz-Siegpunkte. Und so gibt es noch viele, viele andere Regeln, die ich hier gar nicht alle aufzählen kann und werde, weil das sonst den Rahmen dieser Rezension sprengen würde.
Auf jeden Fall dürfte eines klar geworden sein: Es gibt jede Menge Stellschrauben, an denen ich drehen kann. Alles greift ineinander und hat Auswirkungen auf das Spielgeschehen, aber auch auf die Siegpunkte-Strategie. Einfach so drauf los spielen und mal schauen, wohin die Reise führt, bringt einem nicht sehr viel. Kann man machen, aber dann ist der Sieg nicht zu schaffen. Man braucht schon eine grobe Strategie und taktisches Geschick, um auf gewisse Unwägbarkeiten reagieren zu können.
Und das ist dann auch ein klein wenig mein Problem mit dem Spiel: Es ist wahnsinnig verkopft und so phantasielos strategisch. Dabei geht vor lauter Denken müssen auch irgendwie die inhaltliche Atmosphäre flöten. Auf der anderen Seite funktioniert das Spiel schon sehr. Lässt man sich auf diesen Hirnverzwirbler ein und mag solche Spiele, ist man hier genau richtig!
Das Spielmaterial ist von bemerkenswert guter Qualität; die Schachtel ist randvoll; prall gefüllt mit jeder Menge hochwertigem Spielmaterial. Da gibt es stabile Holzfiguren (die Gefolgsleute), jede Menge Karten, stabile Papp-Spielpläne, Silber und Nahrung aus stabilen Papp-Countern usw.
Das Spiel lässt sich auch nur ganz schwer mit dem älteren Bruder "Architekten des Westfrankrenreichs" vergleichen. Die Architekten sind nicht so verkopft, lassen sich auch mal intuitiv spielen und sind auch deutlich interaktiver als die Paladine. Während die Architekten eher ein Kennerspiel sind, so muss man bei den Paladinen schon von einem Expertenspiel sprechen. Gar nicht mal wegen den Regeln, die sind zwar sehr umfangreich, aber durchaus eingängig, sondern vielmehr erschlägt einem das Spiel mit den vielen Möglichkeiten und Stellschrauben sowie den Verknüpfungen miteinander.
Also, ich bin hin- und hergerissen. Ja, das Spiel macht Spaß, ist aber auch sehr verkopft, verzeiht Fehler nicht so leicht. Es ist keineswegs schlecht, sondern ein wirklich sehr gutes Spiel. Es fehlt so ziemlich viel die Interaktion; wer diese sucht, ist hier in diesem Spiel falsch und sollte bei "Architekten des Westfrankenreichs" bleiben. Zu erwähnen ist noch, dass der Automa für das Solospiel sehr gut durchdacht funktioniert. Hier können mehrere Schwierigkeitsstufen gespielt werden.
Ich bin nicht unzufrieden mit diesem Spiel. Ich hatte mein Vergnügen und es ist ein sehr forderndes Spiel, was ja nicht das schlechteste ist. Zur vollen Punktzahl reicht es nicht, aber gute 5 Punkte ist mir das Spiel schon wert!
Matthias hat Paladine des Westfrankenreichs klassifiziert.
(ansehen)