Ich kenne bisher nur wenige Spiele von Alexander Pfister. Mombasa und Great Western Trail kamen leider mangels Mitspieler und mangels Solovarianten noch gar nicht auf meinen Spieltisch. Um so gespannter war ich auf Maracaibo; mein wirklich erstes großes Spiel von Alexander Pfister. Und ich muss sagen: Ja! Hat mich gepackt. Obwohl...aber dazu später mehr.
Worum geht's:
Wir sind Seefahrer, Abenteurer, Glücksritter und versuchen mit unserem Schiff im 17. Jahrhundert in der Karibik Reichtum und Ruhm zu ernten. Dazu durchqueren wir mit unserem Schiff insgesamt vier Mal die Karibik und schicken zeitgleich an Land einen Entdecker durch den Dschungel. Wir steuern Städte an und versuchen in diesen Städten Rohstoffe zu liefern (wir geben eine passende Handkarte ab und räumen eine Holzscheibe von unserem Schiffstableau frei, was auch gleichzeitig ein Freischalten von neuen, bzw. verbesserten Aktionsmöglichkeiten bedeutet). Der Clou dabei ist, dass beinahe jede Stadt nur einen Lagerplatz für einen Rohstoff hat. Also: Wer zuerst kommt, malt zuerst. Außerdem dürfen wir dann noch eine Stadtaktion durchführen. Wir können kämpfen, Geld verdienen, Aufgaben erfüllen, unseren Entdecker an Land schrittweise durch den Dschungel bewegen usw. Oder aber wir landen auf einem Dorf. Dort dürfen wir bis zu drei Dorfaktionen durchführen. Wir können Karten kaufen, erhalten eine Dublone, oder wir können unsere gesamten Handkarten für 2 Dublonen verkaufen. Da Geld in diesem Spiel äußerst knapp ist und ständig gebraucht wird, kann sich das durchaus schon mal lohnen, zumal man am Ende des Zuges seine Handkarten wieder auffüllen darf. Mit dem nötigen Kleingeld kann ich mir dann Handkarten aus der offenen Auslage auf die Hand nehmen, oder ich ziehe diese kostenlos vom verdeckten Stapel und muss dann sehen, was kommt. Die dritte Dorfaktion ist die vielleicht wichtigste: Ich kann eine Karte aus meiner Hand kaufen, auslegen und deren Effekt sofort nutzen, oder mein permanentes Einkommen steigern oder meine Schlusswertung beeinflussen, Siegpunkte generieren etc.
Interessant ist auch die Entdeckerleiste (der Dschungel). Hier kann ich jede Menge Siegpunkte generieren, Geld einsammeln, meinen Einfluss auf die drei in der Karibik präsenten Nationen (Frankreich, Spanien, England) mehren, sogenannte "Quests" erfüllen und mir dadurch Vorteile und/oder Siegpunkte sichern usw.
Viele Aktionen greifen ineinander, sind miteinander verzahnt, kann ich durch Karten- und Synergieeffekte verstärken etc. Das ist die eigentliche Kunst des Spiels: Sich geschickt Synergieketten aufzubauen, um in den Einkommensphasen (am Ende jeder Runde) oder auch einfach so Punkte, Geld, Einfluss und Aktionen zu scheffeln.
Gekämpft wird in der Karibik auch. Aber ohne Würfeln, dafür aber mit sogenannten "Kampfplättchen". Auch hier gibt es eine Besonderheit: Man kämpft nicht gegen jemanden, sondern man unterstützt eine Nation, sichert sich dadurch Einfluss (was sich dann später in der Endabrechnung in Siegpunkten auszahlt) und kann durch geschicktes Vertreiben einer anderen Nation noch Belohnungen (meistens Geld) einsammeln.
Jede Menge Möglichkeiten, jede Menge Aktionen, Verzahnungen, Synergieeffekte etc.... aber dadurch auch jede Menge Spielmaterial, ziemlich schwerer Einstieg in ein doch recht komplexes Spiel, dass aber eigentlich zumindest von den Regeln her gar nicht sooo schwer ist. Aber das Spiel hat es in sich. Um alle Aktionen, Möglichkeiten, Verzahnungen, Synergieeffekte zu erfassen und zu verstehen bedarf es schon der einen oder anderen Partie.
Und damit nicht genug: Wer möchte, kann das ganze noch als Kampagne spielen, mit sich verändernden Spielplan, Kampagnekarten, Storyquests, etc. Also zum umfangreichen Spielmaterial kommt noch weiteres umfangreiches Material hinzu.
Was taugt es:
Das Spiel funktioniert. Den Mechanismus und die Grundeffekte hat man schnell verinnerlicht. Schon die zweite Partie läuft flüssig. Die ganzen Möglichkeiten, die das Spiel bietet erfasst man wahrscheinlich nie ganz. Das Spiel ist spannend, kurzweilig (obwohl es recht lange dauern kann) und macht Spaß. Durch die verschiedenen Schwierigkeitsstufen, den über 200 Karten, immer wieder neu angeordneten Städteaktionen ist der Wiederspielreiz auch OHNE Kampagne schon recht groß. Wenn dann noch mit der Kampagne gespielt wird, dann ergeben sich so viele Möglichkeiten, dass da nie Langeweile aufkommt. Keine Partie gleicht der anderen.
Aber:
Ich habe es ja oben schon angedeutet: es gibt ein ABER! Die Spielmechanik ist zwar gut (ich will sogar sagen: hervorragend!). Das Spiel macht auch spaß. Es ist aber recht mechanisch und wenig atmosphärisch. Ich hab mich eigentlich nie so richtig in die Karibik versetzt gefühlt. Die Kampagne verschafft da allerdings ein KLEIN WENIG Abhilfe, weil hier auch eine Story vorangetrieben wird. Aber so richtig atmosphärisch wird es nicht. Rein atmosphärisch ist da das Spiel "Kosaren der Karibik" deutlich besser. Da riecht man förmlich den Duft der Kanonen der Piratenschiffe...
Dennoch ist das "Meckern auf sehr hohem Niveau", denn das Spiel ist klasse. Super umfangreiches Spielmaterial, viel Holzspielsteine, stabile, schön gestaltete Spielbretter, sehr tolle, wunderschöne Spielkarten, alles toll gestaltet und ein Augenschmaus. Es hat eine tolle Spielmechanik, abwechslungsreich, hoher Wiederspielreiz, ein gelungener Kampangenmechanismus, spannend und sehr herausfordernd. Die schon so oft kritisierte Spielregel fand ich wiederum sehr gut und strukturiert. Ich kam ziemlich schnell rein ins Spiel und konnte auch während des Spielens beim Nachschlagen ziemlich schnell alles finden. Auch die Symbolsprache hat sich mir schnell erschlossen.
Ganz großes Lob auch für die sehr gelungene und recht leicht zu händelnde Solovariante. Hier spielt man gegen einen kartengesteuerten "Automa", der in verschiedene Schwierigkeitsstufen eingestellt werden kann und recht schwer zu schlagen ist. Der Automa steuert ein Schiff durch die Karibik, besetzt auf den Städten die Rohstofffelder, stielt einem die wertvollen Quests vor der Nase weg und generiert ziemlich viel Siegpunkte. Außerdem kann er ziemlich schnell das Rundenende einläuten. Und der Automa konkuriert mit seiner Entdeckerfigur mit mir auf der Entdeckerleiste (also im Dschungel). Erfreulicherweise ist der Automa-Mechanismus wirklich leicht zu händeln (aber schwer zu schlagen); da gibt es ganz andere Erfahrungen (siehe "Gaia-Projekt" als abschreckendes Beispiel).
Also, ganz wenig zu meckern über ein tolles, gelungenes Spiel. Halber Punktabzug für die oben erwähnte etwas zu dünn geratene Atmosphäre. Aber immer noch tolle 5,5 Punkte!
Matthias hat Maracaibo klassifiziert.
(ansehen)